Im Gespräch mit Julia Neigel
Das Interview mit Julia Neigel war so offen und informativ, dass wir diese tiefen Einblicke in das Leben und die Gedanken der Ludwigshafener Rockröhre unseren Lesern nicht vorenthalten möchten.
Julia Neigel spricht mit uns exklusiv über ihre Biographie, ihren Rückzug aus der Öffentlichkeit und ihren Weg zu sich selbst.
Journalistin Jennifer Malchow vom pfalz-magazin: JM; Julia Neigel: JN
JM: Deine Biographie „Neigelnah – Freiheit, die ich meine“ erschien 2012. Was erfahren wir in diesem Buch über Julia Neigel und was bedeutet dir das Buch persönlich?
JN: Als ich es zum ersten Mal in den Händen hielt, hatte ich wirklich ein wohliges warmes Gefühl, ähnlich wie bei „Schatten an der Wand“, als ich damals zum ersten mal die Vinylscheibe in der Hand hatte. Es ist schon ein großes Glück, dass man als Musikerin eine eigene Biographie veröffentlichen darf. Ich bin immer noch ein bischen geflasht von der Erkenntnis, dass es so viele Menschen interessiert, was mir widerfahren ist. Vor meiner ersten Lesung war ich deshalb auch sehr aufgeregt.
„Es ist schon ein großes Glück, dass man als Musikerin eine eigene Biographie veröffentlichen darf.“
Im Buch werden wichtige Abschnitte meines Lebens beschrieben. Natürlich steht nicht alles aus meinem Leben drin, sonst hätte ich 1200 Seiten schreiben müssen. Es beginnt bei meiner Geburt in Russland, dann der Umzug nach Deutschland, die Einschulung, die sehr bedeutsam für meine Entwicklung war und alles was in dieser Zeit geschah. Ebenso die Gründe rund um den Namen Jule und warum ich nun meinen persönlichen Namen in der Öffentlichkeit benutze. Das ist so noch nie in der Öffentlichkeit erzählt worden.
Dann geht’s natürlich weiter mit der Jugend, meiner Schulzeit, die sehr anstrengend war, die ersten großen Erfolge und wie ich dazu kam. Aber auch lustige Anekdoten, wie ich zum Beispiel Udo Lindenberg und Peter Maffay kennen gelernt habe, werden erzählt. Man wird überrascht sein, wann und wie ich Udo Lindenberg kennen gelernt habe. Das erwartet keiner.
JM: Erfahren wir in deiner Biographie auch Privates über dein Leben wie zum Beispiel die Gründe für deine 12 jährige Pause von der Öffentlichkeit?
JN: Ja, auch darüber habe ich Einiges in meinem Buch geschrieben, auch wenn es für mich nicht immer leicht war. Ich erzähle von einer früheren Beziehung und einem Gewaltvorfall, den ich erlebt habe, was eine schwere Traumatisierung bei mir auslöste und wie ich wieder ins Leben zurückgefunden habe. Es viel mir sehr schwer in diesem Buch darüber zu berichten. Aber ich glaube und das ist auch meine Hoffnung, dass meine Geschichte den Menschen Mut macht. Wenn betroffene Menschen erfahren, das es auch Prominente gibt, die schwere Krisen durchlebt haben und am Boden lagen, es dann aber geschafft haben, kann das helfen und motivieren. Diese Menschen sind nicht allein. Auch beschreibe ich, wie es für mich früher in der Umgebung meiner alten Band war, was da alles mit mir geschehen ist und wie ich mich davon befreien konnte. Dann natürlich über meine große neue Liebe, Jörg mein Gitarrist, wie wir zusammengekommen sind und wie es sich für mich anfühlt.
„Ich glaube und das ist auch meine Hoffnung, dass meine Geschichte den Menschen Mut macht.“
Außerdem erzähle ich von meinen Beobachtungen über Frauen und dem Umgang durch Medien mit ihnen, den Blick auf die Medienwelt, und Themen wie Ethik, Moral und das Urheberrecht. Man kann viel über meine eigenen Gedanken und meine Philosophie über das Leben erfahren. Wie ich heute das Leben anpacke, wie ich das Leben jetzt verstehe und wie ich es früher sah.
JM: Gibt es eine große Diskrepanz zwischen deiner Sicht heute und früher? Inwieweit hat sich deine Einstellung zu dir selbst und deinem Leben nach der Krise verändert?
JN: Es ist tatsächlich so, dass ich früher mehr anderen Menschen glaubte, als meinem Instinkt und mir selbst. Ich war sehr naiv und extrem jung, als ich „in die Welt hinaus ging“ und traute mir nicht viel zu und das wurde von Anderen ausgenutzt. Heute glaube ich mir und dann höre ich was die anderen sagen – und das ist auch in Ordnung. Ich habe jetzt einen ganz anderen Bezug zu mir selbst, ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Ich glaube, dass ich früher nie wirklich bei mir ankam, weil die Gelegenheit gar nicht da war und weil es auch verhindert wurde. Das hat sich bei mir durch die Krise erstmal entwickelt. Ich kann nun guten Gewissens sagen, dass ich endlich bei mir angekommen bin und zwar zu 100 Prozent. Es war ein langer Weg und wurde durch eine Krise eingeläutet. Ich stehe zu meinen Werten, meinen Tugenden und entsprechend umgebe ich mich mit Menschen, die das auch respektieren. Ich bin jetzt sehr konsequent, das war ich früher nie. Heute ist es für mich erstaunlich, was ich alles tue und wofür ich letztlich auch für die Gesellschaft nützlich geworden bin. Das sind eben genau diese Dinge, die sich daraus ergeben, dass man den Mut hat, zu sich selbst zu stehen.
JM: Ist deine Wahl zur stellvertretenden GEMA-Aufsichtsrätin im Juni 2012 auch etwas, das sich aus dieser schweren Krise für dich entwickelt hat?
JN: Ja absolut. Ich habe, wegen der Streitigkeiten mit meiner früheren Band um die Urheberrechte an meinen eigenen Songs, jahrelang Bücher über Urheberrecht gelesen und dabei alles verschlungen, was ich finden konnte. Vor 4 Monaten wurde ich dann in den GEMA-Aufsichtsrat gewählt, was ich niemals erwartet hätte. Auch das geschah sicherlich dadurch, dass ich mir Kompetenzen in diesem Bereich selbst schwer erarbeitet habe. Andere Künstler bemerkten das und wählten mich deshalb zu ihrer Vertreterin. Das sind alles Entwicklungen, die mich extrem freuen und sehr ehren. Alles, was einmal schwer erkämpft wurde, bringt eben oft wunderbare Vorteile mit sich, oder es ergibt sich dadurch etwas sehr Nützliches und Wichtiges – ich erlebe das andauernd. Ich fragte mich früher immer: „Warum muss ich mir das jetzt noch antun“ oder „warum muss ich das tun?“ Ich frage mich jetzt nicht mehr nach dem Warum, denn ich bekomme überall die Antworten.
„Ich frage mich jetzt nicht mehr nach dem Warum,
denn ich bekomme überall die Antworten.“
JM: Im Mai 2012 wurdest du zur stellvertretenden Aufsichtsrätin der GEMA gewählt. Welche Aufgaben erfüllt eine Aufsichtsrätin bei der GEMA eigentlich?
JN: Nun ich vertrete über 60 000 deutsche Autoren. Ich bin ehrenamtlich aktiv und auch stellvertretende Aufsichtsrätin, was eine bewusste Entscheidung war, da meine Musikkarriere vorgeht und ich so entscheiden kann, wann ich an Sitzungen teilnehme und wann nicht. Ich bin wie alle Aufsichtsräte dafür da, den Vorstand zu beraten und zu beaufsichtigen. Wir sind der Rat der Mitglieder, der mit dem Vorstand kommuniziert, also ihn kontrolliert, beaufsichtigt und berät.
JM: Was ist dir als Aufsichtsrätin der GEMA besonders wichtig?
JN: Was mir besonders wichtig ist, ist das Urheberrecht und das Leistungsschutzrecht im Internet zu stärken. Auch möchte ich über die Aufgaben und Ziele der GEMA aufklären, da in der Vergangenheit darüber doch oft sehr oberflächlich und einseitig berichtet worden ist.
„Was mir besonders wichtig ist, ist das Urheberrecht und das Leistungsschutzrecht im Internet zu stärken.“
Als Aufsichtsrätin habe ich da natürlich einen ganz anderen Einblick und weiß deshalb, dass, wenn jemand über die GEMA schimpft, dann schimpft er nicht über die GEMA sondern über alle Künstler, die hier in diesem Land damit Geld verdienen Songs zu schreiben.
Ich möchte deutlich machen, dass die GEMA nicht irgendeine Firma ist, sondern ein Verein der komplett seine Gewinne an seine Mitglieder ausschütten.
Außerdem ist das Urheberrecht auch ein Anliegen, mit dem ich selbst in persönlicher Form konfrontiert war – schmerzhaft. Und ich weiß wie schrecklich das ist, ich hab´s erlebt. Auch deswegen ist es mir wichtig, immer wieder auf die Rechte der Künstler und Urheber in diesem Land aufmerksam zu machen.
„Die haben mir damals Unwahrheiten gesagt.“
JM: Urheberrechte sind für dich wahrscheinlich deshalb so wichtig, da deine früheren Bandkollegen dir eingeredet hatten, du hättest keine Urheberrechte an deinen Songs. Wie konnten sie dir das damals weiß machen und warum hast du ihnen geglaubt?
JN: Die haben mir damals Unwahrheiten gesagt. Sie meinten, dass ich nur die Sängerin bin und nichts instrumentiere. Wenn ich Melodien erschaffe oder zu Akkorden was singe, dann sei das die Aufgabe einer Sängerin, aber als Komponistin bei der GEMA würde ich nicht gelten. Zu dieser Zeit hatte ich außerdem kein großes Selbstbewusstsein. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich völlig unwichtig bin und mich einfügen muss, damit ich überhaupt arbeiten kann. Wenn du mit 14 Jahren in so etwas hineingerätst ist es etwas anderes als wenn du mit 40 so eine Erfahrung machst. Wäre ich jetzt mit solchen Menschen zusammen, wäre das ein Tag und sie wären alle weg. Mit 14 jedoch und dazu noch liiert mit einem der Bandmitglieder rutscht du da so rein und brauchst Jahre bis mal einer zu dir durchdringt und du überhaupt mal aufschaust.
„Wäre ich jetzt mit solchen Menschen zusammen, wäre das ein Tag und sie wären alle weg“
Das habe ich auch in meiner Biographie „Neigelnah – Freiheit, die ich meine“ genauer beschrieben, da es für mich sehr schrecklich war.
JM: In dieser Zeit gab es aber noch ein anderes Ereignis, das dich auf dich selbst zurückgeworfen hat: Eine Beziehung, in der es einen Gewaltvorfall gab. Möchtest du darüber sprechen?
JN: Es gab einen Gewaltvorfall, ja, und einen Angriff, was zu einem Trauma bei mir geführt hat. Ich habe danach auch mal ein Interview gegeben, zu was das führen kann. Mich hat es jedenfalls sehr lange krank gemacht.
„Es gab einen Gewaltvorfall, ja, und einen Angriff, was zu einem Trauma bei mir geführt hat.“
Erst nach acht Jahren wurde diagnostiziert, dass ich keine schwere Depression hatte sondern ein Trauma und ich deshalb eine völlig andere Therapie benötigte. Also keine Psychopharmaka sondern Hypnose, Gespräche und einfach völlig andere Strukturen. Ich war vorher völlig gesund und das war dann natürlich nochmal ein Rückschlag, der mich auch in meinem Beruf nicht gerade gestärkt oder unabhängig gemacht hat. Denn ich wollte eigentlich schon damals die Band verlassen, und das konnte ich in dem Moment dann nicht, weil ich einfach zu krank war.
JM: Wie hast du es geschafft, nach dieser Krise wieder ins Leben zurückzufinden?
JN: Das sollte man lesen. Das ist der wichtigste Bereich meiner Biographie, wie ich es geschafft habe, da wieder herauszukommen. Es war brutal und ich habe Glück gehabt, da meine Mutter sehr für mich da war. Ansonsten waren nämlich nicht mehr so viele Menschen da, was ja meistens so ist, wenn man fällt. Durch einen Extremfall habe ich dann plötzlich ein paar Kenntnisse bekommen, die mir geholfen haben. Dann habe ich die Sache in die Hand genommen und seitdem ist es jetzt auch sehr gut.
„Es war brutal und ich habe Glück gehabt, da meine Mutter sehr für mich da war“
JM: Danke für das offene und freundliche Interview und ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Glück in deinem Leben.
JN: Ich freue mich sehr, dass so großes Interesse besteht und vielen Dank. Grüß mir die Heimat.