Esskultur: Sind wir Deutschen die „Amerikaner in Europa?“
Ein Essay von Thomas Steinmetz
Wir Deutschen essen viel zu viel: zu süß, zu salzig und zu fett. Dabei haben wir uns unmerklich eine viel zu hastige Essgewohnheit zugelegt, ohne dabei nachzufragen, wie es dem Tier vor seiner Schlachtung eigentlich ergangen ist – Hauptsache es ist billig. Billig und viel.
Würde man behaupten, dass „früher alles besser war“ rund ums Thema Ernährungsgewohnheiten, dann würde das natürlich so nicht ganz stimmen. Früher nahm man beispielsweise einen großen Topf mit Wasser, den man zum Kochen brachte und hat darin das Gemüse mausetot und weich gekocht, um dieses Kochwasser dann anschließend mitsamt den Vitaminen in den Ausguss zu schütten. Heute genießen wir das Gemüse meist „al dente“, kurz in heißem Öl angedünstet und haben gemerkt, dass das nicht nur viel besser schmeckt, sondern auch viel gesünder ist. Und wir sind auch noch nie so aufgeklärt gewesen und es gab auch noch nie so viele Kochsendungen und Kochdoku-Soaps wie heute. Trotzdem sitzen wir gleichzeitig dabei auf dem Sofa und stopfen beim Zusehen gedankenlos Erdnussflips in uns hinein. Man könnte eine Liste beliebig und endlos aufzählen mit Eckpunkten, die belegen, wie ungesund und ignorant wir mit unserer Nahrung umgehen. Dabei hat unser Körper doch eigentlich etwas Besseres verdient – oder?
Die Ernährungsindustrie in den USA wurde immer größer, mächtiger und skrupelloser darin, dass sie auf die billigste und respektloseste Art Fleisch und Gemüse auf den Markt bringt. Die nach wie vor immer größer werdenden Fast-Food-Ketten machten den Weg frei für eine totalitäre Macht einer nur kleinen Handvoll Großkonzerne. Diese wenigen Betriebe verdienen sich mit der Essgewohnheit der Amerikaner nicht nur dumm, sondern sogar noch dämlich dazu. Die wenigen anderen Betriebe dort, wo noch „mit Herz und Hand“ gearbeitet wird, sterben hingegen langsam aus.
Wie ist das bei uns in Deutschland, sind wir besser? Mir entfährt in letzer Zeit immer öfter der Satz: „Wir Deutschen werden so langsam die »Europäischen Amerikaner«“. Ganz besonders trifft das für unsere Ernährungsgewohnheiten zu. Nirgendwo in Europa wird so wenig Geld im Vergleich zum Einkommen und so wenig Zeit fürs Essen aufgebracht wie bei uns. Sind wir doch mal ehrlich. Es kann nie zuviel auf dem Teller sein, darf uns aber möglichst nichts kosten. Vor allem muss es schnell gehen. Jeden Tag Fleisch, Fertigzeug, Wurst, Formfleischvorderschinken, Junk-Food... und wie das Ganze schmeckt, ist vielen fast schon egal. Schlimmer noch – unser Geschmackssinn hat sich auf dieses glutamat-, zucker- und chemikalienverseuchte Zeug sogar schon regelrecht konditioniert; mit anderen Worten: Gutes, authentisch gekochtes, gesundes und aus frischen Zutaten gekochtes Essen wird unbewusst gar schon als „geschmacklos“ eingestuft. Oft ist es dann sehr schwer, so jemanden von einer Entschleunigung, zu einer Art Bekehrung vom Junk - Food zum Slow-Food zu überzeugen.
Nehmen wir doch ein konkretes Beispiel: Wir Männer achten peinlichst genau darauf, welches High-Tech-Motorenöl wir liebevoll in unseren Motor gießen und dass der Lack jede Woche glänzt. Am liebsten tanken wir noch ein Super-High-Tech-Benzin für optimalen Fahrspaß. Auch für den neuen Front- und Heckspoiler und die restliche reichhaltige Sonderausstattung nebst Leichtmetallfelgen und Sportpaket ist uns kein Tausender zuviel. Die Autoindustrie allein in Deutschland verdient Abermilliarden an Sonderausstattungen, die eigentlich im Grunde für die Fortbewegung gar nicht nötig sind. Niemand – aber auch wirklich niemand hierzulande würde es seltsam finden, wenn jemand für sein Auto ein paar tausend Euro extra ausgibt. Aber das Schnitzel, das wir auf den Grill legen, darf allerhöchstens 7,99 das Kilo kosten und das Salatöl muss das allerbilligste vom Discount sein. Wenn das Ganze dann noch im Sonderangebot zu haben ist, greift man erst recht und voller Freude und mit beiden Händen zu. Völlig egal, wie es dem Schwein zu seinen Lebzeiten dabei ging, damit dieser Dumping-Preis überhaupt möglich ist. Und in ein feines Restaurant zu gehen, wo man mal hundert Euro ausgibt, hält man gleichzeitig für total dekadent und völlig abgedreht; „So etwas ist doch nur für die Stinkreichen, die nicht wissen, wohin mit dem Geld“, denkt der typische Durchschnittsdeutsche. Und die Zeit, sich ein tolles Essen zuhause zu kochen, mit knackig-frischem Gemüse vom Markt und gutem, regionalen Fleisch vom Metzger hat man angeblich nicht, wobei man aber gleichzeitig täglich vier bis fünf Stunden vor der Glotze hängt und sich eine Serie nach der anderen reinzieht. Hand aufs Herz – stimmt das etwa nicht?
Wie gerne und oft wird der „bösen“ Ernährungsindustrie der schwarze Peter zugeschoben indem man sagt: „Die Konzerne sind an allem Schuld. Wenn die das nicht herstellen würden, ginge es uns allen besser“, oder: „Die machen so schlimme chemische Sachen in mein Fertiggericht. Natriumglutamat, Stabilisatoren, Farbstoffe, Hilfsmittel, Konservierungsstoffe und so weiter und so fort“ und schon hat man sich selbst den Heiligenschein aufgesetzt und vergisst dabei völlig, dass Fertigware erstens nicht wirklich billiger, auch nicht schneller gemacht ist und erst recht nicht besser schmeckt als frisch gekocht. Vor allem hat man eines dabei vergessen: Schuld ist nicht die Industrie – die macht nämlich skrupellos nur das, was letztendlich der Verbraucher will. Und der Verbraucher will viel. Viel und gleichzeitig billig.
Und wenn es ums Fleisch und Geflügel geht, vergisst man die armen Tiere, die massenweise in engste Ställe eingepfercht und zu völlig unwürdigen Bedingungen gehalten werden, die teils in ihrem eigenen Kot herumlaufen müssen, oft qualvoll inmitten anderer unwürdig verenden und dann irgendwann in Containern „entsorgt“ werden, weil man ihr Fleisch nicht mehr verwenden kann. Das alles will man sich lieber nicht bildlich vorstellen. Im Grunde kann man sie verstehen, die vielen Vegetarier, Veganer und was weiß ich, was es noch für „-arier“ sonst noch geben mag. Aber anstatt dass sich diese Landesgenossen Gedanken machen würden, die Einkaufsquellen bewusster zu wählen, machen viele schon eine Ersatzreligion daraus und verbieten sich selbst und anderen in einer Art Missionsbefehl dem Dogma jeglichen Fleischverzehrs und vielleicht sogar darüber hinaus jegliche Tierprodukte wie Eier und Milch. Warum nur sind wir so dermaßen polarisiert? Entweder wir stopfen gedankenlos billigstes Industriezeug in uns hinein oder wir fallen ins andere Extrem, indem wir alles verteufeln, was mit tierischen Produkten auch nur im Entferntesten zu tun hat!
Die vielen künstlichen Aromen in dem ganzen Fertigwaren-Zeug haben unsere Geschmackssinne verraten und ausgeschaltet. Sicherlich hat der eine oder andere längst festgestellt, dass diese Speisen oft immer wieder gleich schmecken. Das fängt schon ganz am Anfang an. Selbst der Kinderbrei, den wir unseren Kleinkindern in den Mund schieben, ist davon nicht ausgenommen. Schon von Kindheit an werden wir auf süchtig machende Fertigprodukte eingestellt – und dies ist keineswegs eine Übertreibung. Es erhebt sich hierbei sogar der Verdacht, dass der Einsatz irregeleiteter und geprägter Geschmacksnerven in frühester Jugend dazu führt, dass man auch später dazu neigt, zu diesen billigen Produkten zu greifen. Der Milliarden-Umsatz der Ernährungsmultis ist also damit auch für die Zukunft gesichert. Anstatt von Kindheit an sich an natürliche Geschmacksaromen gewöhnen zu können, wird man programmiert auf kostengünstig produzierte Industrieware, die nachweislich sogar süchtig macht und von denen einige mittlerweile als krebserregend eingestuft wurden. Allein in Deutschland werden rund 15 Tausend Tonnen Aromen eingesetzt, welche den Geschmack von 15 Millionen Tonnen Nahrungsmitte maßgeblich beeinflussen. Viele der als „natürliche Aromen“ deklarierten Zutaten entpuppen sich nach intensiver Recherche zum Beispiel als Sägemehl, was ja immerhin eine „natürliche Zutat“ ist.
Wussten Sie, dass der Einsatz künstlicher Aromen in Deutschland verboten ist? Aber nur bei frischem Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse, also natürlichen Lebensmitteln. Bei verarbeiteten Lebensmitteln hingegen ist alles erlaubt, also bei Pizza, Lasagne, Backwaren, Müsli, Kaffee, Eis, Süßwaren und so weiter. Die Zutatenliste liest sich dann auch dementsprechend wie das technische Merkblatt eines Chemielabors. Diese Chemikalien sind übrigens erschreckend billig! Einen Container Joghurt nach Kirschen schmecken zu lassen kostet die Industrie nur wenige Cent! Unsere natürlichen Geschmackssensoren werden bei dem Einsatz künstlicher Aromastoffe so dermaßen irre geführt, dass man uns sogar Gammelfleisch unterschieben kann, ohne dass wir es wahrnehmen können. Aus diesem Grund meiden wir von der Redaktion grundsätzlich jegliche fertig eingelegte Steaks und Würste, da man hier unmöglich die Spreu vom Weizen unterscheiden kann. Das selbstgemachte Einlegen und Würzen ist nicht nur viel leckerer, sondern man ist auch nur so auf der sicheren Seite. Spaß macht es noch obendrein.
Es würde uns Deutschen gut zu Gesicht stehen, wenn wir unserer Nahrung wenigstens die gleiche Aufmerksamkeit und den gleichen Respekt opfern könnten wie für die anderen Dinge unseres Lebens.
Ein guter Anfang wäre: Unsere Lebensmittel nicht mehr nur nach dem Preis, sondern zuallererst nach seiner Herkunf und Qualität einzukaufen.
Wir Deutsche haben den Ruf, die besten Autos der Welt zu bauen. Vielleicht stimmt das sogar mehr oder weniger. Aber unsere täglich allgegenwärtige, bodenlose Geschmack- und Respektlosigkeit dem Essen gegenüber sollten wir gründlichst und schnell ändern. Der Anfang wäre meiner Empfehlung nach unser Fleisch, Fisch und Geflügel nicht mehr primär nach dem Preis, sondern zuallererst nach seiner Herkunft und Qualität einzukaufen, ohne dass es uns dabei egal ist, wie das Fleisch in die Theke kam. Auch vielleicht viel öfter Frischgemüse vom Markt und seltener Fertigpizza. Wenn nämlich jeder von uns danach fragt, woher das Fleisch kommt, sind sogar die großen Konzerne schlussendlich dazu gezwungen, umzudenken! Damit wäre schon ein Anfang gemacht. Übrigens, wenn es wirklich knapp ist mit dem Geld, kann man den kleinen preislichen Unterschied ganz schnell auffangen, wenn man statt täglich Fleisch zu essen, dies vielleicht etwas beschränkt. Ein Umdenken würde also sogar bei Menschen mit ganz geringem Einkommen funktionieren! Garantiert hat man dann ein etwas besseres Gewissen – und vor allem auch einen besseren Geschmack auf der Zunge; von der Gesundheit mal ganz zu schweigen.
Zum Schluss möchte ich gerne noch Dr. Spitzbart zitieren, der seinen Patienten folgenden Merksatz mit auf den Weg gibt: „Essen Sie niemals etwas, wofür im Fernsehen oder sonst wo geworben wird. Leckeres, gesundes Essen braucht keine Werbung!“