Die Stimme im Ohr – plaudernde Podcasts
Eine Kolumne von Sarah Conlon
(Ausgabe Nr. 45 JUN18)
Es ist ein verregneter, kühler Tag. Ich stehe am vollgepackten Bahnsteig und höre aufmerksam einer Debatte über die neuesten politischen Entwicklungen in einem fernen Land zu. Die Bahn rollt ein und die Masse drängt mich in den Zug. Ich habe Glück und finde einen freien Sitz. Ich sitze am Fenster, beobachte die vorbeirauschenden Bäume und lausche gebannt, welche Bücher gerade lesenswert sind und nach welchen neuen Autoren man Ausschau halten sollte. An der roten Ampel stehend, auf dem Weg zum Büro, tauche ich in eine hitzige Debatte über Künstliche Intelligenz ein und ob Androiden nicht irgendwann die Welt erobern werden (Träumen Androiden denn nun eigentlich von elektrischen Schafen?).
Innerhalb der letzten 40 Minuten habe ich viel Neues gelernt, habe innerlich geschmunzelt, die Stirn gerunzelt, innegehalten. Pause gedrückt und zurückgespult. Denn ich wurde keinesfalls von einem Wegbegleiter in so spannende und vielfältige Gespräche verwickelt.
Nein, ich höre Podcasts!
Podcasts (ein Kunstwort aus dem Englischen „broadcasting“, sprich Rundfunk, und dem iPod) erreichen langsam auch den deutschsprachigen Raum. Es ist Radio auf Abruf, nur ohne Werbung und noch vielfältiger als Deutschlandfunk.
Wann immer ich staubsauge, den Abwasch mache, die Betten beziehe, zur Arbeit fahre, zeichne oder kurz vorm Einschlafen bin: ich höre Podcasts. Ich lausche den unverfänglichen Gesprächen und fühle mich dazugehörig. In einer Podcast-Sendung sitzen oft 2-3 Personen, oft Experten in einem bestimmten Bereich, zusammen, die sich über ein ausgewähltes Thema unterhalten. Sie verstehen einen Teil der Welt besser als ich, und sind nur zu gern bereit, ihre Perspektiven mit mir zu teilen – und das völlig umsonst. Podcasts reihen sich in die Liga der Hörbücher ein, nur sind sie oft zeitweiliger und lehrreicher.
Sei es eine Anekdote, ein Interview mit bekannten – oder weniger bekannten – Persönlichkeiten, Gedanken und Meinungen zu Nachrichten, Filmen, Sportveranstaltungen; kaum ein Thema wird nicht in einer unterhaltsamen Plauderrunde behandelt.
Podcasts kombinieren Journalismus und Reportagen, Interviews und Erzählkunst. Ich glaube, im Vergleich zu Nachrichtensendungen sind Podcasts wesentlich überlegter und nicht auf reißerischen Skandal aus. Oft endet ein Podcast mit persönlichen Erlebnissen der Moderatoren, sie driften in banale Alltagsgeschichten ab, lachen und necken sich, bis am Ende einer sagt „Oh, wir sind ja noch auf Sendung, wir sollten zum eigentlichen Thema zurückkehren“. Es ist unverfängliche Musik in meinen Ohren.
Seit 2015 erfreuen sich Podcasts auch in Deutschland einer wachsenden Zuhörerschaft. „Sanft & Sorgfältig“ war eine deutsche Radiosendung, die von Olli Schulz und Jan Böhmermann moderiert wurde, und seit 2016 unter dem Namen ‚Fest & Flauschig‘ fortgeführt wird – sie gilt als der erfolgreichste deutschsprachige Podcast. Erst vor kurzem, im Jahr 2017, starteten große deutsche Verlage (bspw. Spiegel Online oder Zeit Online) eigene Podcast-Reihen. In den Vereinigten Staaten sind Podcasts schon seit vielen Jahren fester Bestandteil des Alltags. Eine jüngste Studie (The Podcast Consumer 2016, Edison Research and Triton Digital) fand heraus, dass mehr als ein Drittel aller Amerikaner regelmäßig Podcasts hören und 36% der wöchentlichen Nutzer zwischen 3-10 Stunden pro Woche den Geschichten lauschen.
Podcasts lehren mich zudem etwas, das in unserer hektischen Zeit vielen Menschen schwerzufallen scheint: Aufmerksames Zuhören. Wenn ich einen Podcast höre, kann ich nicht sinnlos durch mein Smartphone scrollen oder meine Gedanken abdriften lassen, sonst komme ich in der Handlung nicht mehr mit und muss zurückspulen. Podcasts erfüllen im Gegensatz zu Hörbüchern ein ganz anderes Bedürfnis in mir. Ich möchte, dass kluge Leute mit mir reden und mir relevante Dinge erzählen. Ich bin jetzt immer mit den besten Smalltalk-Themen ausgerüstet. Die nächste Cocktail-Party kann kommen.